Moderator: Kommen wir zu dem Streichen übers Gesicht mit den Händen nach dem Bittgebet (Duʿāʾ), verehrter Scheich. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Darüber ist ein schwacher Hadith (ḍaʿīf) überliefert worden. Diejenigen (Gelehrten), die sich im Bereich der vorzüglichen Handlungen auf schwache Hadithe stützen, sehen darin kein Problem. Wir erwähnten bereits, dass es eine Überlieferung von Imam Aḥmad (b. Ḥanbal) ist. Deshalb strich Imam Aḥmad mit seinen Händen über sein Gesicht nach dem Bittgebet. Zudem wird dies von seinen Lehrern überliefert, dass sie es ebenfalls taten. Die Sache ist in dieser Angelegenheit ist weiträumig.
Moderator: Der Hadith mag schwach sein, jedoch habe ich hier einen Hadith (von ʿUmar), in dem es heißt:
كَانَ رَسُولُ ﷺ إِذَا مَدَّ يَدَيْهِ فِي الدُّعَاءِ لَمْ يَرُدَّهُمَا حَتَّى يَمْسَحَ بِهِمَا وَجْهَهُ
„Der Prophet ﷺ pflegte, wenn er seine Hände beim Bittgebet hob, sie erst runterzunehmen, ehe er mittels ihnen über sein Gesicht strich.“[1]
Ibn Ḥajar (al-ʿAsqalānī) sagte: „Dieser Hadith weist Zeugen auf und eine Gruppe (die dies tat) sieht den Hadith als gut (ḥasan) an […].“[2]
Ist dies der Hadith, über den Sie meinten, dass er schwach sei?
Dadaw: Ja, dieser Hadith ist im Wesentlichen schwach. Und die Zeugen, die der Ḥāfiẓ (Ibn Ḥajar) hier erwähnt und erreichte, haben uns nicht erreicht. Der Zeuge kann nur etwas bezeugen, was auf den Propheten ﷺ zurückzuführen ist (marfūʿ).
Moderator: Kann man sich nicht auf das Urteil von Ibn Ḥajar und Co. stützen?
Dadaw: Doch darauf kann sich derjenige stützen, der die Zeugen auffindet und sich auf sie verlässt oder ein Nachahmer bzw. Blindfolger (muqallid) ist.
Moderator: Und der Hadith von Ibn Mājah, dass der Prophet ﷺ sagte:
إِذَا دَعَوْتَ اللَّهَ فَادْعُ بِبَاطِنِ كَفَّيْكَ، وَلَا تَدْعُ بِظُهُورِهِمَا، فَإِذَا فَرَغْتَ فَامْسَحْ بِهِمَا وَجْهَكَ
„Wenn du Allah bittest, dann tue dies mit der Handinnenfläche (d.h. heb die Hände hoch), nicht mit der Außenseite. Und wenn du fertig bist, so streiche mit deinen Händen über dein Gesicht.“[3]
Dadaw: Dieser Hadith ist ebenfalls schwach (ḍaʿīf).
Moderator: Der Hadith von Imam al-Buchārī in seinem Werk „al-Adab al-Mufrad“:
رَأَيتُ ابنَ عُمَرَ وابنَ الزُّبَيرِ يَدْعُوانِ يُدِيرَانِ بِالرَّاحَتَينِ عَلَى الوَجْهِ
„Ich (Abū Nuʿaim) sah Ibn ʿUmar und Ibn al-Zubair ihren Handflächen übers Gesicht strichen, nachdem sie Duʿāʾ gemacht haben.“[4]
Dadaw: Der Hadith ist nur über sie (und nicht über den Propheten) überliefert (mauqūf). Es ist eine Handlung und keine Aussage, die hier überliefert wird. Es ist die Handlung eines Prophetengefährten (Ṣaḥābī).
Moderator: Ist die Handlung (eines Ṣaḥābī) nicht auch ein in der Scharia verankerter Beweis?
Dadaw: Wir erwähnten zuvor, dass die Handlung eines jemanden, der fehlbar ist, kein Beweis bzw. Argument in der Beweisführung darstellt (ḥujja).
Moderator: Es mag zwar kein Argument sein, jedoch kann man dies in Betracht ziehen.
Dadaw: Das Streichen über das Gesicht nach dem Bittgebet kann getan werden, wenn für sie (einige Gelehrte) der zuvor genannte Hadith richtig ist. So wie es möglich sein kann, dass diejenigen, die nach ihnen kommen, dies nicht als authentisch sahen.
Moderator: Das heißt, Sie sehen in dieser Angelegenheit Weiträumigkeit[5]?
Dadaw: Ja.
Moderator: Ich habe hier eine eigenartige Aussage von al-ʿIzz b. ʿAbdis-Salām[6], die lautet:
ولا يمسح وجهه بيديه عَقِبَ الدعاء إلا جاهل
„Nur ein Unwissender streicht nach dem Bittgebet mit seinen Händen übers Gesicht.“[7]
Dadaw: Nein, diese Aussage ist eine Übertreibung.
Moderator: Ibn Taimīya sagte:
وأمَّا مسحُهُ وجهَهُ بيديْه فليس عنه فيه إلا حديثٌ أو حديثانِ، لا تقومُ بِهِما حُجَّة
„Was das (des Propheten) Streichen mit den Händen übers Gesicht (nach dem Bittgebet) angeht, so werden über ihn nur ein oder zwei Hadithe überliefert. Diese sind keine Beweisgrundlage.“[8]
(Der Moderator trägt den Text grammatikalisch falsch vor, der Scheich korrigiert ihn und dann merkt der Moderator, dass er ihn eigentlich falsch abgelesen hatte. Der Moderator lacht)
Dadaw: Es sind in Wirklichkeit zwei Hadithe und zwar diejenigen, die du zuvor erwähntest. Mittels dieser beiden Hadithe kann niemals das Argument erbracht werden, dass man sich nicht auf deren Zeugen stützen könne. Wenn der Ḥāfiẓ (Ibn Ḥajar) weitere Zeugen aufgefunden hat (die diese Tat bezeugen), […][9]
Moderator: Ich habe hier auch Aussagen derjenigen Gelehrten vorliegen, die diese Sache als in der Scharia verankert sehen.
Dadaw: Das sind diejenigen Gelehrten, die die schwach überlieferten Handlungen als legitim sehen im Bereich der vorzüglichen Handlungen.
Moderator: Zum Beispiel sagt der Schafiit Imam al-Nawawī:
ومن آداب الدعاء […] مسح وجهه بعد فراغه
„Zu den Anstandsregeln des Bittgebets gehört, […] dass man über sein Gesicht streicht, sobald man fertig ist.“[10]
Dadaw: Ja, da Imam al-Nawawī zu denjenigen Gelehrten gehört, die die schwach überlieferten Handlungen in den vorzüglichen Handlungen als legitim sehen. Diesbezüglich hat er eine Regel aufgestellt.
Moderator: Der Hanbalit al-Buhūtī[11] sagte:
(ثم يمسح وجهه بيديه هنا) أي: عقب القنوت (وخارج الصلاة) إذا دعا
„Sodann streicht er hier mit seinen Händen übers Gesicht (gemeint ist nach dem Qunūt) und außerhalb des Gebets (wenn er Allah bittet).“[12]
Dadaw: Hier erwähnten wir bereits, dass die Lehrer des Imam Aḥmad dies auch taten.
Moderator: Eine Sache noch in Bezug auf das Streichen. Es stellt sich die Frage, ob Sie es als legitim sehen und zwar in Bezug auf den Hadith (des Propheten):
إِنَّ رَبَّكُمْ حَيِيٌّ كَرِيمٌ, يَسْتَحِي مِنْ عَبْدِهِ إِذَا رَفَعَ إِلَيْهِ يَدَيْهِ أَنْ يَرُدَّهُمَا صِفَرًا
„Wahrlich, euer Herr ist schamhaft und großzügig, Er schämt sich davor die Hände Seines Dieners, wenn dieser seine Hände zu Ihm hebt, leer zurückzuweisen.“[13]
Wenn er also Hände hebt und der Segen (baraka) der Annahme eines Bittgebets in die Hände des Dieners fällt und er dann übers Gesicht streichen will…
Dadaw: Darin besteht kein Problem, aber wird der Segen bleiben, wenn er über sein Gesicht streicht? (beide lachen) Allah weiß es am besten. Der Segen ist nichts Fassbares. Weder sieht man ihn, noch weist er einen Geruch oder einen Geschmack auf. Worüber wir im Wege der Offenbarung wissen, dass darin Segen liegt, so liegt darin Segen.
[1] Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 48, Hadithnr. 3386.
[2] Bulūġ al-Marām, Hadithnr. 1067 f.
[3] Sunan Ibn Mājah, Kapitel 5, Hadithnr. 1181.
[4] Al-Adab al-Mufrad, Kapitel 276, Hadithnr. 609.
[5] Das heißt, beide Ansichten sind vertretbar, da Entscheidungsspielraum für die Gelehrten besteht.
[6] Syrischer Gelehrter (577–660 H.), Kadi und Fakih der schafiitischen Rechtsschule.
[7] Al-ʿIzz b. ʿAbdis-Salām, Kitāb al-fatāwā li al-īmām al-ʿizz b. ʿabdis-salām, Seite 47, Edition: Dār al-Maʿrifa.
[8] Ibn Taimīya, Maǧmūʿ al-fatāwā, Band 22, Seite 519, Edition: Wizārat asch-Schuʾūn al-Islāmīya wa al-Daʿwa wa al-Irschād al-Suʿudīya, Majmaʿ al-Malik Fahd li-ṭibāʿat al-Muṣḥaf asch-Scharīf.
[9] Rest akustisch nicht hörbar.
[10] Al-Nawawī, Al-Maǧmūʿ šarḥ al-maḏhab, Band 4, Seite 487, Edition: Maktabat al-Irschād.
[11] Ägyptischer Gelehrter (1000–1051 H.), Theologe und Fakih der hanbalitischen Rechtsschule.
[12] Al-Buhūtī, Šarḥ muntahā al-irādāt, Band 1, Seite 497, Edition: Muʾassasat al-Risāla.
[13] Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 8, Hadithnr. 1488.