Moderator: Scheich, Bruder Aḥmad aus Algerien fragte hinsichtlich des Gedichts „al-Burda“[1], welche Zeilen kritisch sind.
Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Jedes Wort, außer dasjenige des Unfehlbaren (maʿṣūm) ﷺ, werden die Menschen kritisieren. Wäre das Gedicht frei von jeglicher Kritik, dann wäre es auf einer Stufe mit den Worten des Unfehlbaren gleichzusetzen. So verhält es sich jedoch nicht. Es gleicht jeder Art von Rede (bzw. Äußerung und ist damit kritikfähig). Als asch-Schāfiʿī über Poesie gefragt wurde, antwortete er:
…الشعر كلام , حسنه كحسن الكلام , وقبيحه كقبيح الكلام
„Die Poesie gleicht dem Reden. Das Gute daran besteht in den guten Worten, das Schlechte in den schlechten Worten…[2]“[3]
Dieses und andere Gedichte, in denen der Gesandte Allahs ﷺ gelobt wird, sind unternommene Versuche, ihm ﷺ seine Stellung würdigend zu geben. Ist es doch eine Pflicht seiner Umma, ihn zu loben. Allah lobte ihn auch, was genügend ist. Weiterhin lobten ihn seine Gefährten (Ṣaḥāba), die Generation nach ihnen (Tābiʿ al-Tābiʿīn) und die Generationen danach. In jeder Epoche lobten die Muslime ihn, was jedoch nicht (gut) genug ist, um seiner Stellung gerecht zu werden. Al-Būṣīrī[4] gehört zu denjenigen, die sich bemühten, den Propheten ﷺ und seine edlen Gefährten zu würdigen.
Im Lobgedicht lesen wir z.B.:
هُم الجِبالُ فَسَلْ عنهمْ مُصادِمَـــــــــهُــــــــــــمْ *** ماذا رأى مِنْهُمُ في كلِّ مُصــــطَــــــــــــــــدَم
وسل حُنيناً وسل بدراً وسلْ أُحُـــــــــــــــــــــــداً *** فُصُولَ حَتْفٍ لهُمْ أدْهَى مِنَ الوَخَــــــــــم
المصدري البيضَ حُمراً بعدَ مـا وردت *** من العدا كلَّ مُسْوَّدٍ مـــــن اللــــــمــــــــــــــــــــمِ
وَالكاتِبِينَ بِسُمْرِ الخَطِّ مَا تَـــــــــــــــــــــــــــرَكَتْ *** أقلامهمْ حرفَ جسمٍ غبرَ منـــــعــــــجــــــمِ
شاكي السِّلاحِ لهم سيمى تميـــــــــــــــــــــزهمْ *** والوردُ يمتازُ بالسيمى عن الــســـــــلــــــــــمِ
تُهدى إليكَ رياحُ النصرِ نشـــــــــــــــــــــــــــرهمُ *** فتحسبُ الزَّهرَ في الأكْمامِ كُلَّ كَـــمِي
كأنهمْ في ظهورِ الخيلِ نبـــــــتُ رُبـــــــــــــــــاً *** مِنْ شِدَّةِ الحَزْمِ لاَ مِنْ شِدَّة ِ الحُـــــــــــزُم
„Fürwahr waren sie Berge! Nur jene, die mit ihnen kämpften, frag,
wie sie sie auf dem Kampfplatz erlebten.
Ḥunaina[5], Badr und Uḥud frag,
Zeiten des Todes, schlimmer als die Pest sie erlebten.
Weiße Klingen, purpurrot zurück sie kamen,
durchtränkt in den schwarzhaarigen Köpfen der Rivalen.
Die Schreiber schreiben mit brauner Schrift/aus Khaṭṭ[6] stammendem Speer,
ihre Stifte/Speere ließen keinen Buchstaben/Körperteil unversehrt.
Ihre Waffen scharf und mit Merkmal, dadurch konnten sie sich auszeichnen,
so wie sich Rosen gegenüber Akazien auszeichnen.[7]
Winde des Sieges tragen ihren Duft zu dir,
du denkst, sie seien Blumen in der Knospe.
Reiten sie auf ihren Rossen, gleichen sie Blüten, die sich auf Hügel befinden,
weil sie fest entschlossen sind, nicht weil sie ihre Sattel festbinden.“
Und:
راعتْ قلوبَ العدا أنباءُ بعثتهِ *** كَنَبْأَةٍ أَجْفَلَتْ غَفْلاً مِــــــنَ الغَـــــــــــنَـــــــمِ
ما زالَ يلقاهمُ في كلِّ معتركٍ *** حتى حَكَوْا بالقَنا لَحْماً على وضَم
„Seine Feinde hörten von seiner Entsendung, gerieten in Schrecken,
wie Schafe sich durch einen Schrei achtlos erschrecken.
Stets trifft er sie auf dem Schlachtfeld an,
Speere durchbohren sie, wie Fleisch auf einem Brett vom Metzgermann.“
Zudem sagte er:
ومن تكنْ برسول الله نصــــرتُـــــــــه *** إن تلقهُ الأُسدُ في آجامها تجــــــــمِ
ولن ترى من وليٍّ غير منتصرِ *** بهِ ولا مِنْ عَدُوّ غَيْرَ مُنْقـــصـــــــــــــمِ
أحلَّ أمَّتَهُ في حـــــــرزِ ملّـــــَتــــــــــــــــــهِ *** كاللَّيْثِ حَلَّ مَعَ الأشبال في أجَم
„Wer des Gesandten Allahs Helfer ist,
stoßen sie auf ihn in ihren Dickichten, sind die Löwen zaghaft.
Bist du sein Freund, wirst du sein sieghaft.
Du wirst keinen Feind sehen, außer dass er entzwei ist.
Wer an ihn glaubt, den lässt er im Schutze seiner Religion sich niederlassen,
wie Löwen sich mit ihren Welpen in ihren Dickichten niederlassen.“
Zweifellos gehört dies zu den schönsten, eloquentesten und ehrlichsten Worten in Gedichtform (die man so vorfindet). Hinsichtlich einiger zu kritisierender Stellen kann gesagt werden, dass kein Mensch frei von Kritik ist. Würden die Kritiker eigene Gedichte schreiben, würden wir kritisierbare Teile finden. Gerade wenn es um Verse geht, in denen es zu Verallgemeinerungen kommt oder die Pronomen sich überlappen, z.B. nachdem er (al-Būṣīrī) einige Verse dem Gesandten Allahs ﷺ widmete, sagte er:
فإنَّ من جُودِكَ الدنيا وَ ضَرَّتها *** ومن علومكَ علمَ اللوحِ والقلمِ
„So wurden Deinetwegen erschaffen Jenseits und Leben (dunyā),
zu Deinem Wissen Tafel und Feder zählen.“
Mit diesen Versen wurde nicht der Gesandte Allahs ﷺ angesprochen, sondern Allah . Ein solches Phänomen – dass die Pronomen sich nacheinander häufen – kommt vor und ist in der arabischen Sprache geläufig. Ein weiteres Beispiel ist, dass Allah sagte:
„Wir haben dich (o Muḥammad) ja als Zeugen, Verkünder froher Botschaft und Warner gesandt, damit ihr an Allah und Seinen Gesandten glaubt, ihm beisteht und ihn hochachtet und damit ihr Ihn preist morgens und abends.“ (48:8–9)
„…damit ihr Ihn preist…“ – hier ist Allah gemeint und nicht der Gesandte, obwohl die vorigen Pronomen sich auf diesen beziehen. Die Aneinanderreihung von Pronomen findet sich häufig in der arabischen Sprache sowie im Koran vor. Beispielsweise sagte Allah :
„Preis sei Dem, Der Seinen Diener bei Nacht reisen ließ – vom geschützten Gebetsplatz zum fernsten Gebetsplatz, dessen Umgebung Wir gesegnet haben, damit Wir ihm (etwas) von Unseren Zeichen zeigen. Er ist ja der Allhörende, der Allsehende.“ (17:1)
Wir finden zahlreiche Pronomen, die im Singular stehen, während die Sätze im Passiv sind.
„Preis sei Dem, Der Seinen Diener reisen ließ“ – hier ist „Der“ das erste Pronomen (Relativpronomen).
„bei Nacht vom geschützten Gebetsplatz zum fernsten Gebetsplatz, dessen Umgebung Wir gesegnet haben, reisen ließ“ – hier ist „dessen“ das zweite Pronomen (Relativpronomen).
„damit wir ihm“ – hier ist „ihm“ das dritte Pronomen (Personalpronomen).
„(etwas) von unseren Zeichen zeigen. Er…“ – hier ist „Er“ das vierte Pronomen (Personalpronomen).
Jedes dieser Pronomen bezieht sich entsprechend auf eine Person (hier: Muḥammad) oder Allah.[8] Die Fachleute und Gelehrten der Sprache sind bei solchen Sätzen nicht überfordert und legen sie stets islamkonform aus. Wer diese Stufe nicht erreicht, wird in allem, seien es Formulierungen etc., etwas Kritisierbares sehen.
Wenn wir „al-Būṣīrī oder jemand anderem ist ein Fehler unterlaufen“ sagen, so ist dies etwas Normales, daran ist also nichts auszusetzen. Schließlich ist er nicht unfehlbar.
(Der Prophet ﷺ sagte)
كُلُّ بَنِي آدَمَ خَطَّاءٌ وَخَيْرُ الْخَطَّائِينَ التَّوَّابُونَ
„Jeder Mensch begeht viele Sünden und die besten Sünder unter ihnen sind diejenigen, die bereuen.“[9]
1. Wenn jemand die Worte („zu deinem Wissen Tafel und Feder zählen“, 2:49) so verstehen will, dass sie sich auf den Propheten ﷺ beziehen, so ist daran ebenfalls nichts auszusetzen. Schließlich sagte Allah:
„Er ist der Kenner des Verborgenen – Er enthüllt keinem Seine Kenntnis vom Verborgenen außer allein dem, den Er unter Seinen Gesandten erwählt hat…“ (72:26–27)
2. Eine weitere Zeile des Lobgedichts, die sich auf den Propheten ﷺ bezieht und oft vergeblich als Beigesellen (schirk) bewertet wird, lautet:
يَا أَكْرَمَ الخَلْقِ مَالَي مَنْ أَلُوذُ بِهِ *** سِوَاكَ عِنْدَ حُلُولِ الحَادِثِ العَمِمِ
„O Edelster aller Geschöpfe, bei wem soll ich Zuflucht nehmen,
außer bei dir am großen Tag, an dem alle auferstehen?“
Schließlich sucht der Muslim Zuflucht nur bei Allah, nicht bei einem Menschen. Allerdings ist das Wort „Zuflucht“ hier im Kontext des jüngsten Tages als Fürsprache (schafāʿa) zu verstehen. Denn die Muslime werden an jenem Tag zu einigen Propheten gehen und Schutz suchen, aber jeder dieser wird sich der Verantwortung nicht gerecht sehen und auf einen Propheten nach ihm verweisen – bis zum ihm ﷺ, er wird dann Fürsprache einlegen (siehe Sahih al-Buchārī, Kapitel 58, Hadithnr. 4476, Kapitel 65, Hadithnr. 4712).
Die Zeilen sind mithin, wie Sh. Muhammad ad-Dadaw bereits sagte (3:56), stets sachgemäß auszulegen.
[1] Ein in der muslimischen Welt sehr bekanntes Gedicht, das im Monat, in dem der Prophet ﷺ geboren wurde, oft gesungen wird.
[2] Basierend auf den Worten des Gesandten ﷺ u.a. in al-Adab al-Mufrad, Hadithnr. 865; al-ʿAsqalānī, Fatḥ al-bārī bi-šarḥ ṣaḥīḥ al-buḫārī, Band 18, Seite 545, Edition: al-Risāla al-ʿĀlamīya; al-Baihaqī, Al-Sunan al-kubrā, Band 5, Seite 110, Hadithnr. 9181, Edition: Dār al-Kutub al-ʿIlmīya; al-Haiṯamī, Maǧmaʿ az-zawāʾid wa-manbaʿ al-fawāʾid, Band 8, Seite 122, Hadithnr. 13317 ff., Edition: Maktabat al-Qudsī; al-Qurṭubī, Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-qurʾān, Band 16, Seite 92, Edition: Muʾassasat al-Risāla; al-Ṭabarānī, Al-Muʿǧam al-ausaṭ, Band 7, Seite 350, Hadithnr. 7696, Edition: Dār al-Ḥaramain.
[3] Al-Baihaqī, Manāqib aš-šāfiʿī, Band 2, Seite 60, Edition: Maktabat Dār al-Ṯurāṯ; ders., Al-Sunan al-kubrā, Band 10, Seite 401, Edition: Dār al-Kutub al-ʿIlmīya.
[4] Berberischer Gelehrte (608–696 H.) und Poet.
[5] Ein Tal, das sich in der Nähe von Taif befindet; vgl. al-Azharī, Šarḥ al-burda, Seite 131, Edition: Maktabat al-Andalus.
[6] Ort, aus dem die Speere kommen oder ein Baum, der für ihre Herstellung verwendet wird.
[7] Rosen sehen schön aus und riechen gut, Akazien sind stachelig und riechen erdig.
[8] Dieses „Problem“ tritt im Deutschen nicht auf, wenn man z.B. „ihn“ oder „er“ für Allah groß schreibt.
[9] Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 85, Hadithnr. 2499; Sunan Ibn Mājah, Kapitel 37, Hadithnr. 4251.