Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Hinsichtlich des Vermischens der Ansichten der Rechtsschulen (talfīq) müssen wir zunächst verstehen, dass die Rechtsschulen keine Religionen sind. Die Religion ist eine einzige, nämlich diejenige, die Jibrīl (im Auftrag Allahs dem Propheten) Muḥammad ﷺ übermittelte. Die Rechtsschulen sind Schulen und Wege im Umgang mit den Offenbarungstexten (Koran und Sunna) und ihr Verständnis. Dies sind die Wege der Leute des Wissens, die sich Allah reumütig zukehren und auf die Allah im Falle von Uneinigkeit und Unwissenheit verwies sagend:
„…Fragt die Leute der Ermahnung, wenn ihr (etwas) nicht (weiter) wisst.“ (16:43; 21:7)
„Und wenn ihnen eine Angelegenheit zu (Ohren) kommt, die Sicherheit oder Furcht betrifft, machen sie es bekannt. Wenn sie es jedoch vor den Gesandten und den Befehlshabern unter ihnen brächten, würden es wahrlich diejenigen unter ihnen wissen, die es herausfinden können…“ (4:83)
Er befahl, dass man ihnen zu folgen hat, indem Er sagte: „…Und folge dem Weg dessen, der sich Mir reuig zuwendet…“ (31:15)
Wenn die Ansichten der Rechtsschulen so vermischt bzw. zusammengelegt werden, dass eine Schule – für sich betrachtet – dies nicht akzeptieren würde, so ist dies zweifelsohne per Konsens ungültig. Beispiel: Jemand heiratet ohne Vormund (walī), weil er Abū Ḥanīfa folgt,[1] ohne Brautgabe, weil er den Meinungen von asch-Schāfiʿī und Aḥmad folgt und ohne Zeugen, da er der Meinung von Mālik folgt. Diese Vorgehensweise ist eindeutig verboten. Denn diese Konstellation fällt nicht mehr unter dem Konsens und kein Gelehrter sagte, dass sie legitim ist.
Moderator: Die Meinungen also so zu vermischen, dass sie nicht mehr unter dem Konsens fallen, ist ungültig?
Dadaw: Genau. Deswegen sagte ein Dichter (namens Muḥammaḏn Fāl b. Mutālī[2]):
ومن شروط الرعي للــــــخـلاف *** أن لا يؤدي إلــــى خــــــــــــــــــــــــــــــــــلاف
إجماعهم كنـاكح بــــــلا ولـــــــــــــــــــــي *** بدانق للشـــاهدين مـــــــــــهـــــــــــــــملي
قلد في نفي الولي التـــــــــابــعي *** وفي الشهود مالكا والـــشافعي
بدانق (فإن هذ الـــصــــــــــــــــــــــــــوره *** قال الرياشي لم تكـــــــن مذكوره)
„Eine Bedingung Meinungsverschiedenheiten zu berücksichtigen ist,
was nicht dazu führt, dass dem Konsens widerspricht,
etwa ohne walī in der Schließung der Ehe,
keine zwei Zeugen man nehme,
folgend in der Meinung ohne walī (Abū Ḥanīfa) dem Tābiʿī,
und in der Meinung ohne Zeugen Mālik und asch-Schāfiʿī.
(Laut al-Riyāschī[3] ist’n solcher Fall
nie bekannt gwesn dergestalt.).“
Diese Konstellation (der vermischten Meinungen) ist also ungültig. Andere Fälle sind erlaubt und diejenigen, die Meinungen vermischen dürfen, sind die „Hineinblickenden“[4] (mutabaṣṣir). Meinungen zu kombinieren bzw. zu vermischen ist nicht jedem Muslim erlaubt. Denn dies fällt sonst unter dem Folgen der Neigungen und Gelüsten, was einen Weg ins Höllenfeuer ebnet. Ich muss also die zuschauenden Brüder und Schwestern darauf aufmerksam machen, dass der Gegenpart der Scharia Allahs die Neigung ist.
Allah sagte zu Seinem Prophet Dāwūd :
„O Dāwūd, Wir haben dich zu einem Statthalter auf Erden gemacht; richte darum zwischen den Menschen in Gerechtigkeit, und folge nicht den (eigenen) Neigungen, damit sie dich nicht vom Wege Allahs abirren lassen…“ (38:26)
Der Weg Allahs ist die Wahrheit und das Gegenteil davon sind die Neigungen. Diesen gemäß suchen sich viele Menschen die Erleichterungen (rukhṣa) aus jeder Rechtsschule raus.
[1] Siehe das Video „Sh. Muhammad ad-Dadaw – Heiraten ohne Vormund (wali)“.
[2] Mauretanischer Großgelehrter (1206–1287 H.) der malikitischen Rechtsschule und Gründer einer Maḥḍara.
[3] Irakischer Dichter (gest. 257 H.), Überlieferer und Meister der arabischen Sprache aus Basra, der für sein gutes Benehmen bekannt war. Er wurde zur Zeit des Aufstands der Zandsch getötet.
[4] Siehe auch das Video „Sh. Muhammad ad-Dadaw – Die Stufen der Gelehrten“.