Kufr bit taghut | Sh. Muhammad ad-Dadaw

Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Ein weiteres Scheinargument (der Übertreiber im takfīr) lautet:

من لم يكفر الطاغوت فهو كافر

„Wer den ‚ṭāġūt‘ nicht zum kāfir erklärt, der ist auch ein kāfir.“

Es ist bekannt, dass in den Offenbarungstexten – also dem Koran und der Sunna – „ṭāġūt“ erwähnt und man davor gewarnt wird. Viele Leute schauen sich diese Texte nun an und wollen sie anwenden bzw. auf die Menschen übertragen. So suchen sie nach dem „ṭāġūt“, wo er sich denn befinden könnte. Wenn sie keinen finden, den sie als „ṭāġūt“ bezeichnen können, wenden sie es auf jeden Herrscher an, also dass er ein „ṭāġūt“ sei. Deswegen sei jeder, der eine Herrschaftsposition einnimmt, ein „ṭāġūt“, den man ablehnen und auf den man takfīr machen müsse. Grundsätzlich meint „ṭāġūt“ tatsächlich alles, was anstelle von Allah angebetet wird – sei es im wirklichen oder übertragenen Sinne. Im wirklichen Sinne meint man einen Götzen und im übertragenen sind die Neigungen gemeint. Wer seine Neigungen als Gottheit nimmt, betet etwas im übertragenen Sinne an und wer ein Götze anbetet, betet anstatt Allah etwas im wirklichen Sinne an. „Ṭāġūt“ bedeutet also, anstatt Allah, etwas im wirklichen oder übertragenen Sinne anzubeten.

„…(wen Allah verflucht und zu) Ṭāġūt-Anbeter[1] machte…“ (5:60)

Auch wenn dieser Begriff oft mit dem Unterdrücker (ṭāġiya) zusammenhängt, ist nicht jeder Unterdrücker zwangsläufig ein „ṭāġūt“. Viele Herrscher sind Unterdrücker, das heißt, sie sind ungerecht und hochmütig ihrer Tyrannei wegen. Dies trifft aber auch auf Menschen zu, die keine Herrscher sind. So sagte Allah :

„(Keineswegs!) Wahrlich, der Mensch übt Gewalttätigkeit / überschreitet doch die Grenze (ṭaġā), da er von sich meint, er wäre auf niemanden angewiesen.“ (96:6–7)

Der Mensch kann somit ein Unterdrücker (ṭāġiya) aufgrund seines Stolzes und Hochmuts sein, ohne überhaupt ein Herrscher zu sein, aber man bezeichnet ihn dann nicht als „ṭāġūt“. Demzufolge ist es Übertreibung, wenn man alle Herrscher als „ṭāġūt“ bezeichnet. Man überschreitet die Offenbarungstexte, indem man sie erklärt und auslegt (tafsīr), wofür sie nicht offenbart wurden. Man entstellt die Texte bzw. reißt sie aus dem Kontext. Gewiss ist ein Herrscher ein „ṭāġūt“, wenn man ihn anstelle von Allah anbetet. Jedoch werden die meisten muslimischen Herrscher nicht anstelle von Allah angebetet. Daher fallen sie nicht unter dem Begriff „ṭāġūt“. Gegebenenfalls kann er ein Unterdrücker / Tyrann (ṭāġiya) sein, weil er einen Stolz hat und hochmütig ist, aber kein „ṭāġūt“. Zwar muss man den „ṭāġūt“ ablehnen (kufr bi-ṭ-ṭāġūt), aber man ist nicht verpflichtet, takfīr auf ihn zu machen. Allah sagte schließlich:

„…Wer also den ‚ṭāġūt[2]‘ verleugnet, jedoch an Allah glaubt, der hält sich an der festesten Handhabe, bei der es kein Zerreißen gibt…“ (2:256)

Es gibt daher einen wesentlichen Unterschied zwischen der Leugnung des „ṭāġūt“ und takfīr auf ihn zu machen. Man leugnet bzw. lehnt ihn (den „ṭāġūt“) vielmehr ab. Wenn jeder, der anstatt Allah angebetet wird, ein „ṭāġūt“ wäre, müsste man z.B. takfīr auf ʿĪsā b. Maryam machen. Schließlich wurde (und wird) er anstelle von Allah angebetet. Dies gilt auch für Maryam.
Es ist aber nicht erlaubt (takfīr auf sie zu sprechen). Allerdings verleugnet man den „ṭāġūt“, das heißt, man lehnt seine Anbetung ab.

Wenn man die Anbetung ʿĪsās ablehnt (bzw. verweigert), bedeutet dies, dass man īmān[3] hat. Denn man ist davon überzeugt, dass er ein Diener und Gesandter Allahs ist.

„…(ʿĪsā, der Sohn Maryams, ist nur Allahs Gesandter) Und Sein Wort, das Er Maryam entbot und ein Geist von Ihm…“ (4:171)

Demgemäß ist er kein Gott und das Wort (die Botschaft) war nicht zu einem Gott (sondern Maryam) hinübergebracht. Sie (die Anbetung ʿĪsās zu leugnen) stellt zugleich īmān und Leugnung des „ṭāġūt“ (kufr bi-ṭ-ṭāġūt) dar.

[1] Da „ṭāġūt“ auch „Götze“ bedeuten kann, steht in einigen Koranübersetzungen hier „Götzendiener.“

[2] In einigen Koranübersetzungen steht hier „Götzen“ oder „falsche Götter“.

[3] Dieser Fachbegriff wird oft mit „Glaube“ übersetzt. Das ist nur insofern richtig, wenn die Verbform gemeint ist. Das Nomen „Glaube“ meint hingegen per Definition eine „gefühlsmäßige, nicht von Beweisen oder Fakten bestimmte unbedingte Gewissheit oder Überzeugung.“ Dies wird dem Begriff des īmān nicht gerecht.

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