Moderator: Wie lautet das Urteil der Heirat mit Scheidungsabsicht, Scheich? Er heiratet die Frau mit der Absicht, sich von ihr scheiden zu lassen, ohne dies zeitlich festzulegen.
Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Ohne dass sie von seiner Absicht weiß oder er ihr seine Absicht bekundet?
Moderator: Genau.
Dadaw: Grundsätzlich bezweckt man mit der Ehe die Aufrechterhaltung und Beständigkeit. Der Mensch will nämlich heiraten, um Kinder bzw. eine Nachkommenschaft zu haben, er will u.a. diese erwähnten Zwecke erreichen.
Moderator: Dann ist es ja ḥarām, weil es diesen Zwecken widerspricht.
Dadaw: Nehmen wir mal an, der Mann möchte das Land verlassen oder in den Dschihad gehen, ohne sie als Muslima gefangen zu halten bzw. sie zurückzuhalten und sie nichts machen kann, weil er in einem anderen Land ist und sie seine Ehefrau ist…
Moderator: Er betrügt sie aber dadurch.
Dadaw: Nein, vielleicht führt Allah eine neue Lage herbei.
Moderator: Ohne Zweifel.
Dadaw: Somit kann er seine Meinung immer noch ändern, jedoch verhielt es sich so, dass er zum Zeitpunkt der Heirat dies(e Scheidungsabsicht) in sich trug. Weder ist dies verbindlich für ihn noch ist er ein Sünder, denn der Gesandte Allahs ﷺ sagte:
إِنَّ اللَّهَ تَجَاوَزَ عَنْ أُمَّتِي كُلَّ شَىْءٍ حَدَّثَتْ بِهِ أَنْفُسَهَا مَا لَمْ تَكَلَّمْ بِهِ أَوْ تَعْمَلْ
„Allah sieht von meiner Umma von dem ab, was sie (die Menschen) in ihren Gedanken haben, solange sie hiervon nichts aussprechen oder in die Tat umsetzen.“[1]
Der Mann sprach weder etwas aus, noch teilte er ihr es mit oder nahm eine Handlung vor. Diese Angelegenheit befand sich in seinem Inneren und daraus sollte man keine Schlussfolgerungen ziehen oder künftige Handlungen folgen lassen.
Moderator: Was ist denn dann mit dem authentischen Hadith „Die Taten sind nur entsprechend den Absichten und jedem steht das zu, was er beabsichtigte“? Seine Absicht müsste also Wirkung entfalten und wird wie eine (Heirats-)Voraussetzung behandelt.
Dadaw: Seine gefasste Absicht ist eine Herzensangelegenheit, die nur ihn betrifft, wie wenn jemand ein Haus zur Unterkunft kauft. Mit solchen Häusern bezweckt man grundsätzlich Bleibe und Beständigkeit. Jedoch hatte er die Absicht, das Land zu verlassen oder das Haus zu verkaufen.
Moderator: Eine(n) Ehe(vertrag) zeitlich zu begrenzen ist mit Übereinstimmung aller Gelehrten ḥarām?
Dadaw: Ja.
Moderator: Und wenn seine Absicht ist, die Heirat zeitlich zu begrenzen? Die Taten sind ja nur entsprechend den Absichten…
Dadaw: Nein, seine Absicht ist z.B., dass er sie am x-ten Tag scheidet.
Moderator: Dies ist möglich. Er beabsichtigt sie z.B. nach einem Monat oder Jahr zu scheiden. In den meisten Fällen ist die Zeitspanne absehbar.
Dadaw: Wenn die Befristung der Ehe seinerseits absehbar im Innern ist und er fest entschlossen ist, dann ist es verpönt (makrūh), es sei denn, er hat sie wirklich hintergangen. Und hätten sie oder ihr Vormund (walī) es gewusst, so hätte sie den Mann nicht geheiratet und er (der Vormund) hätte der Heirat nicht zugestimmt.
Moderator: In den meisten Fällen passiert genau dies, Scheich.
Dadaw: Dann ist es Betrug (und damit ḥarām). Wer aber gewöhnlich heiratet…niemand heiratet und weiß, was Allah plant.
Moderator: Scheich, grundsätzlich weiß der Mann, dass er an irgendeinem Tag sie scheiden kann. Wenn er aber die Scheidungsabsicht fasst, dann hat er in seinem Inneren eine Befristung (des Ehevertrages) vor. Was soll denn die gefasste Scheidungsabsicht sonst bedeuten?
Dadaw: Die Form des Ehevertrages im Islam gleicht nicht derjenigen der Christen. Wenn die Christen heiraten, dann beabsichtigten sie dies für immer.[2]
Moderator: Das stimmt.
Dadaw: Sie muss befürchten, dass er ihr gegenüber gewalttätig sein könnte, sie ihn doch ablehnt oder er nicht mit ihr intim sein kann. Es gibt viele Gründe.
Moderator: Scheich, bleiben wir mal bei dem, was in der Wirklichkeit passiert. Wenn der Mann eine Frau heiratet und die Absicht fasst, verheiratet zu bleiben, dann ist ihm ja bewusst, dass er sich später mit ihr streiten kann.
Dadaw: Er sich von ihr scheiden lässt.
Moderator: Wenn er aber jetzt den (Ehe-)Vertrag abschließen will und in seinem Innern weiß er, er wird sie nach drei oder vier Monaten scheiden, dann ist alles, was wir bis jetzt sagten, realitätsfern. Das – verzeiht – grenzt sehr an Idealismus. Jeder von uns kann jetzt normal heiraten, während er in seinem Inneren weiß, es ist sein Recht, sie jederzeit zu scheiden. Dass ich mich aber innerlich vorbereite, mich zu scheiden, muss doch bedeuten, dass ich eine Befristung beabsichtige. In dem Fall gibt es keinen Unterschied zur Zeitehe[3] (mutʿa), außer ob ich die (Befristung als) Bedingung auferlegt habe oder nicht.
Dadaw: Doch es gibt einen gravierenden Unterschied. Bei der Zeitehe haben nämlich beide Parteien mit ihrem gegenseitigen Einverständnis den Vertrag (und dessen Befristung) geschlossen. Die beabsichtigte Scheidung hingegen wurde nicht ausgesprochen, berichtet oder auferlegt und es gibt keine Zeugen. Sie ist lediglich eine Absicht und diese ist in dieser Konstellation (Vertragsschließung) nicht von Belang.
Moderator: Was ist dann mit dem Hadith „Die Taten sind nur entsprechend den Absichten“?
Dadaw: Dies ist eine andere Sache. Allerdings müssen auch (auf die Absicht) entsprechende Taten folgen. Eine Tat haben wir hier nicht vorliegen.
Moderator: Doch, die Heirat an sich.
Dadaw: Die Absicht zu heiraten und dann auch wirklich zu heiraten hat Allah (ausdrücklich) erlaubt. Die Scheidung dagegen hat er jetzt nicht vor, sondern mit der Zukunft kann seine Absicht sich Aus diesem Grund sagte der Prophet ﷺ:
إِنَّ اللَّهَ كَتَبَ الْحَسَنَاتِ وَالسَّيِّئَاتِ ثُمَّ بَيَّنَ ذَلِكَ فَمَنْ هَمَّ بِحَسَنَةٍ فَلَمْ يَعْمَلْهَا كَتَبَهَا اللَّهُ عِنْدَهُ حَسَنَةً كَامِلَةً وَإِنْ هَمَّ بِهَا فَعَمِلَهَا كَتَبَهَا اللَّهُ عِنْدَهُ عَشْرَ حَسَنَاتٍ (إِلَى سَبْعِمِائَةِ ضِعْفٍ إِلَى أَضْعَافٍ كَثِيرَةٍ) وَإِنْ هَمَّ بِسَيِّئَةٍ فَلَمْ يَعْمَلْهَا كَتَبَهَا اللَّهُ عِنْدَهُ حَسَنَةً كَامِلَةً وَإِنْ هَمَّ بِهَا فَعَمِلَهَا كَتَبَهَا اللَّهُ سَيِّئَةً وَاحِدَةً
„Allah befahl (den Engeln) die guten und schlechten Taten aufzuschreiben und erklärte (ihnen die Schreibweise):
Wer vorhatte (hamm), eine gute Tat zu begehen, sie aber nicht tat, den wird Allah für diese vollkommen belohnen. Hat er sie vor und setzt sie auch um, belohnt ihn Allah zehnfach (bis siebenhundertfach und noch viel mehr). Und wer vorhatte, eine schlechte Tat zu begehen, sie aber nicht umsetzte, den wird Allah eine gute Tat aufschreiben lassen. Hat er sie aber vor und setzt sie auch um, lässt Allah eine schlechte Tat aufschreiben.“[4]
Ibn ʿAbbās überliefert diesen Hadith (u.a.) in „Sahih Muslim“. Er stellt klar, dass Absichten und Vorhaben im Herzen, ohne dass sie eine Handlung oder Aussage begleiten, nicht von Belang sind. Die Taten des Herzens sind fünferlei Art:
- Der flüchtige Gedanke (hājis)
- Der manifestierte Gedanke (khāṭir)
- Ein Selbstgespräch aufgrund des Gedankens[5] (ḥadīṯ al-nafs)
Bei diesen drei wird nichts aufgeschrieben. Es ist gleichgültig, ob sie gut oder schlecht waren.
- Das Vorhaben (hamm)
Es wird bei Gutem aufgeschrieben, bei schlechten Taten aber nicht. Diese Art betrifft unser Anliegen (Heiraten mit Scheidungsabsicht).
- Der Entschluss (ʿazm)
Moderator: Hier befinden wir uns gerade.
Dadaw: Nein, gemeint ist der feste Wille, dem eine (unterstützende) Handlung folgt bzw. begleitet. Das ist der Unterschied zwischen der vierten und fünften Art. Sowohl ein Entschluss für eine gute Tat als auch ein solcher für eine schlechte Tat werden aufgeschrieben.
Moderator: Kann ich denn nicht „Ich habe den Entschluss gefasst, sie nach einem Jahr zu scheiden“ sagen? „Ich bin entschlossen, dich morgen zu besuchen.“ Nennt man so etwas nicht Entschluss, Scheich?
Dadaw: Den Entschluss müssen (Vorbereitungs-)Handlungen begleiten. Beispielsweise will man Berauschendes (khamr) trinken und schenkt sich ein Glas ein (begleitende Handlung). Danach zerbricht es oder man verstirbt.
Moderator: Bei dieser Art von Heirat (mit Scheidungsabsicht) kommt es sehr häufig zu Betrug und Schwindel. Daher sagte Imam Mālik :
ليس هذا من الجميل ولا من أخلاق الناس
„(Dies ist keine schöne Sache) Sie gehört nicht zum Benehmen der Menschen (= verpönt).“[6]
Al-Auzāʿī sagte:
هو نكاح متعة ولا خير فيه
„Dies(e Form von Heirat) ist eine Zeitehe. Darin liegt nichts Gutes (= ḥarām).“[7]
Sh. Ibn ʿUṯaimīn – möge Allah sich seiner und allen Gelehrten erbarmen – sagte:
إنه محرم لا من أجل أن العقد اعتراه خلل يعود إليه، ولكن من أجل أنه من باب الخيانة والخدعة
„Der Ehevertrag (mit Scheidungsabsicht) ist nicht deshalb ḥarām, weil er auf eine Störung zu-rückzuführen ist, sondern weil er unter Verrat und Betrug fällt.“[8]
Dadaw: Dies ist nur, wenn Verrat und Betrug nachgewiesen wurden. Dann verhält es sich anders (es ist ḥarām).
Moderator: Entschuldigt, aber wenn ich eine Frau heirate – gehört es nicht zu ihren grundlegenden Rechten zu wissen, dass ich beabsichtige, sie zu scheiden? Schließlich basiert ihre Entscheidung (zu heiraten) hierauf.
Dadaw: Jedoch wisst ihr beide noch nichts.
Moderator: Ich weiß doch, dass ich sie scheiden werde.
Dadaw: Nein, vielleicht bringt Allah etwas in der Zukunft hervor.
Moderator: Das stimmt.
Dadaw: Du magst sie und fängst an, sie richtig zu lieben, ohne sich von ihr scheiden zu lassen.
Moderator: Was jedoch häufig geschieht, ist, dass die meisten mit dieser (Scheidungs-)Absicht heiraten. Zudem sagte Sh. Muḥammad Raschīd Riḍā:
وما لا يشترط فيه ذلك يكون على اشتماله على ذلك غشا وخداعا يترتب عليه مفاسد أخرى من العداوة والبغضاء وذهاب الثقة حتى بالصادقين الذين يريدون بالزواج حقيقته
„Und wenn diese Bedingung (der zeitlichen Begrenzung) nicht gesetzt wurde (sie also trotzdem vorzufinden ist, obwohl sie nicht erwähnt wurde), so beinhaltet dies Betrug und Verrat. Dies führt zu weiterem Übel wie Hass, Feindschaft und Vertrauensverlust, insbesondere gegenüber den ehrlichen Leuten, die mit der Heirat das Richtige beabsichtigen.“[9]
Dadaw: Das stimmt.
Moderator: Und tatsächlich kommt es heute in Europa, Indonesien, Ostasien und vielen anderen Ländern vor, dass ein ernsthafter Heiratswilliger von der Gemeinschaft abgelehnt wird. Denn sie haben bereits eintausend Personen hinter sich, die alle die Frau mit Scheidungsabsicht geheiratet und nach einem Monat sich von ihr scheiden lassen und sie verlassen haben. Dieser gewaltige Schaden…
Dadaw: Und er lässt seine Kinder zurück?
Moderator: Allein in Indonesien befinden sich den Statistiken zufolge 900.000 saudi-arabische Kinder aufgrund dieser Problematik.
Dadaw: Allah bewahre.
Moderator: Worauf ich hinaus will: Wie kann trotz dieses enormen Schadens uns sowas kümmern wie „er beabsichtigte (sich zu scheiden)“, „er beabsichtigte es nicht“, „er legte sie (die Scheidungsabsicht) als Bedingung auf“ usw., obwohl die Schäden doch sehr deutlich auftreten?
Dadaw: Die Schäden werden entsprechend ihres Ausmaßes behandelt. Jedenfalls kann man sie nicht für alle Länder und Orte verallgemeinern. Man schaut auf die Länder und Gebiete, in denen der Schaden sich verbreitete, und behandelt die dortigen Einwohner mit den strengsten Ansichten, jedoch nicht die (Einwohner der) Länder, in denen diese Vorfälle sich nicht ereigneten.
[1] Sahih al-Buchārī, Kapitel 68, Hadithnr. 5269; Sahih Muslim, Kapitel 1, Hadithnr. 127; Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2209; Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 13, Hadithnr. 1183; Sunan al-Nasāʾī, Kapitel 27, Hadithnr. 3433 ff.
[2] Etwa aufgrund der Formulierung „bis dass der Tod uns scheidet“.
[3] Siehe das Video „Sh. Muhammad ad-Dadaw – Die Zeitehe (mut’a) im Islam“.
[4] Sahih al-Buchārī, Kapitel 81, Hadithnr. 6491; Sahih Muslim, Kapitel 1, Hadithnr. 131.
[5] Man schwankt aufgrund des Gedankens („Soll ich es tun oder nicht?“).
[6] Al-Zurqānī, Šarḥ az-zurqānī ʿalā muwaṭṭaʾ imām mālik, Band 3, Seite 202, Edition: Dār al-Hadith.
[7] Ebenda.
[8] Sh. Ibn ʿUṯaimīn sagte:
والذي يظهر لي أنه ليس من نكاح المتعة، لكنه محرم من جهة أخرى، وهي خيانة الزوجة ووليها. لأن الزوجة ووليها لو علما بذلك: ما رضوا وما زوجوه. ولو شرطه عليهم صار نكاح متعة. فنقول: إنه محرم لا من أجل أن العقد اعتراه خلل يعود إليه، ولكن من أجل أنه من باب الخيانة والخدعة
„Ich sehe darin keine Zeitehe. Nichtsdestotrotz ist es ḥarām und zwar aus folgendem Grund: Die Ehefrau und ihr Vormund (walī) werden hierdurch betrogen. Hätten es beide nämlich gewusst (dass der Mann mit Scheidungsabsicht heiraten wird), so hätten sie ihn weder akzeptiert noch eine Ehe geschlossen. Sollte er (der Mann) ihnen dies(e Scheidungsabsicht) als Bedingung im Vertrag auferlegen, dann ist es (ohnehin) eine Zeitehe. Wir halten fest: Der Ehevertrag (mit Scheidungsabsicht) ist nicht deshalb ḥarām, weil er auf eine Störung zurückzuführen ist, sondern weil er unter Verrat und Betrug fällt.“ Ibn ʿUṯaimīn, Aš-Šarḥ al-muqniʿ ʿalā zād al-mustaqniʿ, Band 12, Seite 185, Edition: Dār Ibn al-Jauzī.
[9] Riḍā, Tafsīr al-manār, Band 5, Seite 17, Edition: Maṭbaʿat al-Manār.