Die Tahlil-Ehe | Sh. Muhammad ad-Dadaw

Moderator: Was ist das islamische Urteil über die Taḥlīl-Ehe?

Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Wenn der Ehemann gegenüber seiner Frau dreimal die Scheidung vollzieht, sodass sie unwiderruflich von ihm getrennt wurde (bainunat al-kubrā), so darf sie ihn erst wieder heiraten, wenn ein anderer Mann mit ihr eine gültige Ehe schließt und mit ihr verkehrt basierend auf den Ehevertrag. Wenn er also mit ihr verkehrt, danach sich von ihr scheiden lässt und die Wartezeit (ʿidda) abgelaufen ist, darf sie den vorigen Mann heiraten. Allerdings ist im Islam nicht erlaubt, dass ein Mann eine Ehe mit einer Frau (die dreimal geschieden wurde) schließt und mit ihr verkehrt, nur damit sie wieder für ihren ehemaligen Mann erlaubt ist, sofern beide Parteien (der neue Mann und die Frau) dies vereinbart haben. Schließlich stellt dies(e abgesprochene Vereinbarung bzw. der Vertrag) eine Form der Zeitehe[1] (mutʿa) dar. Denn beide Parteien haben sich darauf geeinigt, dass der Mann sie für eine gewisse Zeitspanne heiratet, damit sie wieder erlaubt für ihren (ehemaligen) Ehemann ist (geheiratet zu werden). Lediglich aus diesem Grund hat er dann mit ihr verkehrt.

Moderator: Es könnte ja für eine kurze Zeit gewesen sein (die nicht festgelegt wurde, sodass es keine Zeitehe wäre).

Dadaw: Jedenfalls hatten sie beide dieses Vorhaben beabsichtigt. Es genügt bereits, dass sie nur einmal miteinander verkehren und sich anschließend trennen. Sollte es sich so verhalten, dass sie und ihr Vormund (walī) ihr Anliegen vortäuschen, dann ist die Absicht des (neuen) Mannes maßgeblich. Beabsichtigt sie also ihn zu heiraten, während er es nicht weiß (dass sie bereits dreimal geschieden wurde), und setzt sie ihm keine Bedingung auf (die den Vertrag nichtig machen würde), so wird sie – nachdem er mit ihr verkehrte – mit hoher Wahrscheinlichkeit sich von ihm mittels eines Richters oder Imams trennen und ihm die Brautgabe (mahr) zurückzahlen (sog. Selbstloskauf, khulʿ), damit sie ihren ehemaligen Ehemann wieder heiraten kann. Oder sie verlangt von ihm (dem neuen Ehemann) aus einem x-beliebigen Grund die Scheidung, obwohl eine solche Handlung unter angedrohter Bestrafung steht.[2] So wäre dies (ḥarām).

Moderator: Wenn ein Mann, eine (dreifach geschiedene) Frau heiratet und mit ihr verkehrt, um sie wieder erlaubt für ihren ehemaligen Mann zu machen, aber dann doch nicht die Scheidung vollzieht, bleibt der Ehevertrag dann gültig?

Dadaw: Ja.

Moderator: In Ordnung. Von ʿAbdullāh b. Masʿūd wird überliefert, dass er sagte:

لَعَنَ رَسُولُ اَللَّهِ ﷺ اَلْمُحَلِّلَ وَالْمُحَلَّلَ لَهُ

„Der Gesandte Allahs ﷺ verfluchte den Muḥallil[3] und für wen es gemacht wird.“[4]

In der Version von Aḥmad heißt es:

لَعَنَ رَسُولُ اللهِ ﷺ الوَاشِمَةَ والمُتوشِّمَةَ والواصِلَةَ والموصولَةَ والمُحِلَّ والمحلَّلَ لهُ (وآكلَ الرِّبا ومُوكِلَه)

„Der Gesandte Allahs ﷺ verfluchte jene Frau, die tätowiert, sich tätowieren lässt, die Haare verlängert, sich Haare verlängern lässt sowie den Muḥallil und für wen es gemacht wird (und wer ribā nimmt oder bezahlt).[5]

In einem weiteren Hadith heißt es…

Dadaw: „…Soll ich euch nicht über den Leihbock oder den Nagel des Höllenfeuers…?

Moderator: (Er ﷺ sagte)

“‏ أَلاَ أُخْبِرُكُمْ بِالتَّيْسِ الْمُسْتَعَارِ ‏”‏ ‏.‏ قَالُوا: بَلَى يَا رَسُولَ اللَّهِ قَالَ ‏”‏ هُوَ الْمُحَلِّلُ لَعَنَ اللَّهُ الْمُحَلِّلَ وَالْمُحَلَّلَ لَهُ ‏”

„Soll ich euch sagen, wer ein Leihbock ist?“ Sie antworteten: „Doch, o Gesandter Allahs.“ „Es ist der Muḥallil! Allah verfluchte ihn und für wen es gemacht wird.“[6]

Sie (die Taḥlīl-Ehe) ist folglich unter jedem Gesichtspunkt ḥarām.

Dadaw: Ja, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt wurden.

Moderator: Diese waren nochmal?

Dadaw: Dass sie sich darauf einigen, nur unter dem Vorwand zu heiraten und zu verkehren, und sie sich trennen, damit sie wieder zu ihrem ehemaligen Mann zurückkehrt. Zudem ist eine (entscheidende) Bedingung der Geschlechtsverkehr. Schließlich wird sie im Koran nicht erwähnt. Allah sagte:

„Wenn er sich (ein drittes, unwiderrufliches Mal) von ihr scheidet, dann ist sie ihm nicht mehr (als Gattin) erlaubt, bevor sie nicht einen anderen Mann geheiratet hat…“ (2:230)

Moderator: Es heißt ja: „…bis sie seine Süße genossen hat (und er ihre).“

Dadaw: So heißt es im Hadith, nicht im Koran. Dort heißt es: „…bevor sie nicht einen anderen Mann geheiratet hat…“

Moderator: Genügt somit nur ein Ehevertrag?

Dadaw: (Ja, Allah sagte) „…bevor sie (…) geheiratet hat…“ – hieraus wird deutlich, dass (nur) der Ehevertrag gemeint ist, nicht der Beischlaf. Würde es „bevor er nicht eine andere Frau geheiratet hat“ heißen, wäre der Geschlechtsakt davon umfasst.

Moderator: Der Hadith verdeutlicht doch die Angelegenheit, Scheich.

Dadaw: Ja, oder man könnte auch sagen: „Er ergänzt ihn (den Koranvers).“ Hieran ist nichts zu beanstanden. Allerdings war Saʿīd b. al-Musaiyib (ein Tābiʿī) der Ansicht, dass der Geschlechtsverkehr keine Voraussetzung ist aufgrund des (allgemeinen Wortlautes des) Koranverses. Den Hadith verwarf er.[7] Die Mehrheit der Gelehrten hingegen ist der Auffassung, dass der Beischlaf eine zwingende Voraussetzung ist, da der Prophet ﷺ (in ebendiesem Hadith die Frau von Rifāʿa) fragte:

” لَا حَتَّى تَذُوقِي عُسَيْلَتَهُ وَيَذُوقَ عُسَيْلَتَكِ ” . قَالَتْ: نَعَمْ قَالَ: ” أَتُرِيدِينَ أَنْ تَرْجِعِي إِلَى رِفَاعَةَ “

„Willst du wieder zu Rifāʿa?“ „Ja“, antwortete sie. Er sagte: „Nein, erst wenn du von seiner (ʿAbdur-Raḥmān) Süße (des Beischlafs) genossen hast – und er von deiner.“[8]

Sie behauptete (fälschlicherweise), er (ʿAbdur-Raḥmān) sei impotent, er also nicht imstande sein wird, mit ihr zu verkehren. Trotzdem verbot es ihr der Prophet ﷺ (ihren ersten Ehemann Rifāʿa zu heiraten), ehe sie seine (ʿAbdur-Raḥmān) Süße genossen hat (sie mit ihm den Beischlaf vollzogen hat) und er ihre.

Moderator: Können wir sagen, dass sie (die Meinung von Saʿīd b. al-Musaiyib) anormal (schāḏ) ist und mittels ihrer keine Fatwa (als Erleichterung) gegeben werden kann?

Dadaw: Ja, seine Meinung kann nicht als Fatwa erlassen werden, da quasi hiernach ein Konsens herrscht.

[1] Siehe das Video „Sh. Muhammad ad-Dadaw – Die Zeitehe (mut’a) im Islam“.

[2] Wenn eine Frau von ihrem Ehemann ohne triftigen Grund die Scheidung verlangt, wird ihr der Geruch des Paradieses verboten; siehe Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2226; Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 13, Hadithnr. 1187, Sunan Ibn Mājah, Kapitel 10, Hadithnr. 2055.

[3] So nennt man den Mann, der die dreifach geschiedene Frau heiratet, mit ihr verkehrt und sie daraufhin scheidet, nur damit sie wieder ihren ehemaligen Mann heiraten darf.

[4] Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 11, Hadithnr. 1119 f.

[5] Musnad Imam Aḥmad, Hadithnr. 4823 f.; in leicht unterschiedlichen Wortlauten auch in allen anderen Sunan-Werken zu finden.

[6] Sunan Ibn Mājah, Kapitel 9, Hadithnr. 1936; einige Altvorderen (salaf) würden den Muḥallil als Nagel des Höllenfeuers bezeichnen.

[7] Dies lässt sich mit der Regel „Jeder zusätzliche (oder konkretisierende) Text in Bezug auf den Offenbarungstext (Koran) ist abrogiert“ begründen. Das Abrogierende (hier: der Hadith) muss sich auf der gleichen Stufe wie den zu abrogierenden Teil (hier: der Koranvers, der mutawātir ist) befinden, was nicht der Fall ist.

[8] Sahih al-Buchārī, Kapitel 52, Hadithnr. 2639, Kapitel 68, Hadithnr. 5260 f., 5265, 5317, Kapitel 77, Hadithnr. 5792, 5825, Kapitel 78, Hadithnr. 6084; Sahih Muslim, Kapitel 16, Hadithnr. 1433; Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2309; Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 11, Hadithnr. 1118; Sunan Ibn Mājah, Kapitel 9, Hadithnr. 1932; Sunan al-Nasāʾī, Kapitel 26, Hadithnr. 3283, Kapitel 27, Hadithnr. 3407 ff.

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