Die Scheidung mittels der Absicht | Sh. Muhammad ad-Dadaw

Moderator: Scheich, kann die Scheidung nur durch die Absicht allein gültig sein? Man beabsichtigt mit dem Herzen sich von der Ehefrau zu scheiden, ohne dabei etwas auszusprechen.

Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Nein, eine solche Scheidung ist ungültig. Denn die Absicht ist eine Tat des Herzens. Solche Taten haben keine Auswirkungen auf Verträge. Verträge setzen nämlich zwei Parteien voraus und die abgegebene Erklärung muss die andere Partei erreichen.

Moderator: Allah sagte doch: „…Und ob ihr offenlegt, was in euch selbst ist, oder es verbergt, Allah wird euch dafür zur Rechenschaft ziehen…“ (2:284)

Dadaw: Dieser Koranvers wurde abrogiert (aufgehoben).

Moderator: Wodurch?

Dadaw: Durch den darauffolgenden Teil. Als sie „Wir hören und gehorchen“ sagten, offenbarte Allah : „Allah erlegt keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag. Ihr kommt (nur) zu, was sie verdient hat, und angelastet wird ihr (nur), was sie verdient hat.“ (2:285–286)

Moderator: Was nicht abrogiert wurde, ist der Hadith (des Propheten ﷺ):

إِنَّ اللَّهَ تَجَاوَزَ عَنْ أُمَّتِي كُلَّ شَىْءٍ حَدَّثَتْ بِهِ أَنْفُسَهَا مَا لَمْ تَكَلَّمْ بِهِ أَوْ تَعْمَلْ

„Allah sieht von meiner Umma von dem ab, was sie (die Menschen) in ihren Gedanken haben, solange sie hiervon nichts aussprechen oder in die Tat umsetzen.“[1]

Dadaw: Allah sieht also hiervon ab.

Moderator: Das heißt, der Scheidungsausspruch ist ungültig?

Dadaw: Genau.

Moderator: Ibn Qudāma sagte:

الطلاق لا يقع إلا بلفظ فلو نواه بقلبه من غير لفظ لم يقع في قول عامة أهل العلم

„Die Scheidung ist nur durch Ausspruch gültig. Wenn er (der Mann) sie mittels seines Herzens beabsichtigt, so sieht ihn die Allgemeinheit der Leute des Wissens als ungültig an.“[2]

Dadaw: Genau, entscheidend sind die entsprechenden Worte mit der Absicht zusammen.

Moderator: Was ist eure Meinung, Scheich, über das Stehenbleiben in dieser Angelegenheit, so wie es Ibn Sīrīn tat? Er wurde von jemanden, der mittels seines Herzens eine Scheidung beabsichtigte, gefragt. So sagte er: „Wusste es denn Allah nicht?“ „Doch“, antwortete der Fragesteller. „So werde ich hierzu nichts sagen“, entgegnete Ibn Sīrīn.[3]

Dadaw: Dies ist jedoch nicht bindend. Denn es würde ja dann heißen, dass all die Einflüsterungen des Menschen, seien sie Unglaube, Ungehorsam, Schändliches etc., auch Gültigkeit besäßen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

[1] Sahih al-Buchārī, Kapitel 68, Hadithnr. 5269; Sahih Muslim, Kapitel 1, Hadithnr. 127; Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2209; Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 13, Hadithnr. 1183; Sunan al-Nasāʾī, Kapitel 27, Hadithnr. 3433 ff.

[2] Al-Maqdisī, Al-Muġnī, Band 10, Seite 355, Edition: Dār ʿĀlam al-Kutub.

[3] Al-Jauzīya, Zād al-maʿād fī hadī ḫair al-ʿibād, Seite 815, Edition: Muʾassasat al-Risāla.

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