Die Scheidung im Islam | Sh. Muhammad ad-Dadaw

Scheich Muhammad al-Hassan al-Dadaw: Die Scheidung bzw. der Scheidungsausspruch (ṭalāq) meint die Trennung der Familie und die Auflösung eines gegenseitigen Vertrages. Allah sagte:

„(Wie könnt ihr die großzügige Brautgabe zurücknehmen) Wo ihr doch zueinander eingegangen seid und sie mit euch ein festes Abkommen getroffen haben?“ (4:21)

Aus diesem Grund ist die Scheidung islamisch gesehen in jeder Hinsicht unbeliebt.[1] Der Gesetzgeber hat ihren Spielraum eng ausgestaltet. Es existieren drei Zeiten bzw. Fälle, in denen Er es jeweils erlaubte und verbot, die Scheidung auszusprechen. In den drei Fällen, in denen Allah die Scheidung verbot, können die Umstände den Mann dazu veranlassen, sich von seiner Frau scheiden lassen zu wollen (jedoch wäre dies ḥarām). In den drei Fällen hingegen, in denen Er die Scheidung erlaubte, veranlassen die Umstände den Mann dazu, sich von ihr nicht scheiden lassen zu wollen (obwohl es ḥalāl wäre).

I. Die Fälle, in denen Allah die Scheidung verbot

Die Fälle, in denen die Scheidung verboten ist, sind folgende drei:

1. Menstruation

Hat die Frau ihre Menstruation, darf er sich von ihr nicht scheiden lassen. Denn die Menstruation stellt ein Leiden dar, da Allah sagte:

„Sie fragen dich nach der Monatsblutung. Sag: Sie ist ein Leiden…“ (2:222)

Da in diesem Zeitraum ihr Ehemann nicht mit ihr verkehren darf, könnte sich der Satan einmischen. Die Trennung ist dann (oft) die Folge. Deshalb verbot der Gesetzgeber den Scheidungsausspruch während der Menstruation.[2]

2. Das Wochenbett

Wenn sie im Wochenbett liegt, darf sie (auch) nicht beten aufgrund des Blutes. In dieser Phase darf er sich von ihr nicht scheiden lassen. Sie ist einem Hindernis ausgesetzt, das der Menstruation entspricht. In dieser Phase darf er sich von ihr nicht scheiden lassen. Sie ist einem Hindernis ausgesetzt, das der Menstruation entspricht.

3. Nach einer Reinigung (nach einer Menstruation oder einem Wochenbett) und eines darauffolgenden Geschlechtsakts

Der Beweis hierfür liegt in der Aussage Allahs:

„O du Prophet, wenn ihr (deine Umma und du) euch von den Frauen scheidet, so scheidet euch von ihnen zu ihrer festgesetzten Zeit…“ (65:1)

Der Teil „zu ihrer festgesetzten Zeit“ bedeutet nach Ablauf der Wartezeit (ʿidda). Einer befohlenen Sache zuwiderzuhandeln bedeutet ein Verbot zu begehen. Da Er befahl, dass Frauen nur zu ihrer festgesetzten Zeit geschieden werden dürfen, ist eine Scheidung zu einer anderen Zeit verboten, etwa nachdem der Mann nach ihrer Reinigung sie „berührte“ (mit ihr verkehrte). Deswegen können die Umstände dieser drei Fälle den Mann dazu verleiten, sich von seiner Frau scheiden lassen zu wollen. In den ersten beiden Fällen bestimmte Allah, dass es ein Leiden ist. Im dritten Fall stellte der Mann sein sexuelles Verlangen ab; er verspürt keinen Drang mehr.

Moderator: Scheich, wie sieht es mit der Scheidung einer schwangeren Frau aus?

Dadaw: Dazu kommen wir noch.

II. Die Fälle, in denen Allah die Scheidung erlaubte

Die Fälle, in denen die Scheidung erlaubt ist, sind folgende drei:

1. Vertragsschluss ohne Geschlechtsverkehr

Wenn er eine Ehe mit ihr schließt, ohne danach mit ihr zu verkehren, steht ihm das Recht zu, sich von ihr scheiden zu lassen. Denn Allah sagte:

„O die ihr glaubt, wenn ihr gläubige Frauen heiratet und euch hierauf von ihnen scheidet, bevor ihr sie berührt habt, dann dürft ihr für sie keine von euch berechnete Wartezeit aussetzen; sichert ihnen eine Versorgung und gebt sie auf schöne Weise frei.“ (33:49)

2. Schwangerschaft

Wenn sie schwanger wird, darf er sich von ihr scheiden lassen.[3] Diese Scheidung ist per Konsens wirksam. Was die Fragestellerin von einigen Leuten erwähnte, dass die Scheidung einer Schwangeren ungültig sei, stimmt nicht. Nach einhelliger Meinung ist die Scheidung einer schwangeren Frau erlaubt.

3. Nach einer Reinigung ohne eines darauffolgenden Geschlechtsakts

Sie hatte z.B. ihre Menstruation oder lag im Wochenbett. Danach ist sie wieder rein geworden, vollzog die Ganzkörperwaschung (ġusl) und machte sich schick. In diesem Fall darf er sich von ihr scheiden lassen, ohne aber zuvor mit ihr zu verkehren. Schließlich veranlassen die Umstände in diesen drei Fällen den Mann dazu, sich nicht von ihr scheiden lassen zu wollen. Wenn er einen Ehevertrag mit ihr schließt und danach nicht mit ihr verkehrt, sollte er sich von ihr nicht scheiden lassen wollen. Liegt der zweite Fall vor, das heißt, ist die Frau schwanger, dann will der Mann (eigentlich) aufgrund dieser Umstände sich von ihr nicht scheiden lassen, um sie und ihr Kind vor Gefahren zu schützen. In der dritten Fallkonstellation durfte er zunächst nicht mit ihr verkehren und sodann war es ihm (nach ihrer Reinigung) wieder erlaubt. Unter diesen zeitlichen Umständen will er sich (aber grundsätzlich) von ihr nicht scheiden lassen.

Zurück zur Frage der Schwester: Die drei Formen, in denen der Man sich von der Frau nicht scheiden lassen darf, nennt man „ṭalāq al-bidʿī“. Schließlich ist diese Art der Scheidung (ṭalāq) eine Neuerung (bidʿa) und ḥarām.

III. Die Wirksamkeit der verbotenen Scheidung

Es herrscht eine Meinungsverschiedenheit, ob diese Art der Scheidung wirksam ist.

1. Wirksamkeit

Die Mehrheit, darunter die Anhänger der vier Rechtsschulen, sieht eine solche Scheidung als gültig an. (Beweise) So sagte Allah in Bezug auf die erste Scheidung:

„Geschiedene Frauen sollen (mit sich) selbst drei Zeitabschnitte abwarten…“ (2:228)

Hinsichtlich der zweiten Scheidung sagte Er:

„Die (widerrufliche) Scheidung ist zweimal (erlaubt). Dann (sollen die Frauen) in rechtlicher Weise behalten oder in ordentlicher Weise freigegeben (werden)…“ (2:229)

Über die dritte Scheidung sagte Er:

„Wenn er sich (ein drittes, unwiderrufliches Mal) von ihr scheidet, dann ist sie ihm nicht mehr (als Gattin) erlaubt, bevor sie nicht einen anderen Mann geheiratet hat… (2:230)

Diese drei Erscheinungsformen der Scheidung ordnete Allah allgemein an, ohne festzulegen, ob sie gemäß der Sunna oder zeitlich gebunden sind.

2. Keine Wirksamkeit

Eine Gruppe von Gelehrten, darunter einige Altvordern (salaf), also Prophetengefährten (Ṣaḥāba) und die Generation nach ihnen (Tābiʿīn), und spätere, sowie Sh. al-Islām b. Taimīya, sein Schüler Ibn al-Qaiyim, Imam asch-Schaukānī, Sh. ʿAbdil-ʿAzīz b. Bāz und andere zeitgenössische Muftis, war der Ansicht, dass die verbotene Scheidung (ṭalāq al-bidʿī) keine Wirksamkeit entfaltet.

(Der erste) Beweis:

المعدوم شرعا كالمعدوم حسا

„Wovon die Scharia absieht, wird so behandelt, als existiere es nicht.“[4]

Die genannte Form der Scheidung ist ḥarām und auch wenn sie vollzogen worden ist, wird sie so behandelt, als existiere sie nicht.

Der zweite Beweis: Allah sagte:

„…so scheidet euch von ihnen zu ihrer festgesetzten Zeit…“ (65:1)[5]

Zudem sagte der Prophet ﷺ:

مَنْ عَمِلَ عَمَلاً لَيْسَ عَلَيْهِ أَمْرُنَا فَهُوَ رَدٌّ

„Wer eine Handlung vornimmt, die nicht mit unserer Sache übereinstimmt, so wird dies abgelehnt.“[6]

Die verbotene Scheidung (ṭalāq al-bidʿī) stimmt nicht mit unserer Religion überein, somit ist sie abzulehnen.

Der dritte Beweis: Über Ibn ʿUmar wird in „Sunan Abī Dāwūd“ und „Sunan al-Nasāʾī“ überliefert, dass als er sich von seiner Frau während ihrer Menstruation scheiden ließ, diese Scheidung nicht gewertet wurde.[7]

Denn der Prophet ﷺ befahl unmittelbar diese Scheidung zu widerrufen, indem er (zu seinem Vater ʿUmar b. al-Khaṭṭāb) sagte:

…مُرْهُ فَلْيُرَاجِعْهَا، (ثُمَّ لِيُمْسِكْهَا) حَتَّى تَطْهُرَ ثُمَّ تَحِيضَ، ثُمَّ تَطْهُرَ

„Befiehl ihm (Ibn ʿUmar) sie so lange zurückzubehalten, bis sie wieder rein geworden ist, erneut ihre Periode hat und dann wieder rein geworden ist…“[8]

Diese Überlieferung befindet sich in beiden Sahih-Werken. Der zusätzliche Teil des Hadith, dass die Scheidung nicht gezählt wurde, findet sich in „Sunan Abī Dāwūd“ und „Sunan al-Nasāʾī“ vor.

Der vierte Beweis: Über Ibn ʿAbbās wird überliefert, dass ein Mann ihm erzählte, er habe nach der Reinigung seiner Frau sich von ihr scheiden lassen, nachdem er mit ihr intim war. Er (Ibn ʿAbbās) wies diese Scheidung zurück und erklärte sie für ungültig.[9]

Folglich handelt es sich um eine legitime Meinungsverschiedenheit zwischen einer Mehrheit der Gelehrten, deren Beweise die erwähnten Koranversen sind, und einer Gruppe von Gelehrten.

Moderator: Ibn Taimīya stand also mit seiner Meinung nicht allein da, Scheich?

Dadaw: Keineswegs! Bereits vor ihm waren einige Prophetengefährten, Tābiʿīn und sogar Imame des Hadith, wie Isḥāq b. Rāhawaih, gleicher Auffassung. Nach ihm – Ibn Taimīya – folgten viele Gelehrten in jeder Epoche seiner Ansicht.

3. Stellungnahme

Die Angelegenheit ist (im Rahmen der Rechtsprechung) durch das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu bestimmen. Entspricht der Sachverhalt einer Person dem Grundfall (ʿazīma), so ist die Rechtsauskunft (Fatwa) nur nach der Mehrheitsmeinung zu erteilen. Weicht der Sachverhalt aber von diesem ab, so kann die Person als Fatwa eine erleichternde Ausnahme (rukhṣa) in der Gestalt der zweiten Meinung erhalten.

Worin liegt hier der Unterschied zwischen dem Grundfall (ʿazīma) und der Erleichterung (rukhṣa)?

Ein Grundfall (ʿazīma) liegt vor, wenn dem Mann die Sache gleichgültig ist, die Familie keinerlei Perspektive zum Fortbestehen hat und man weiß, dass er gegenüber seiner Ehefrau erneut die Scheidung aussprechen würde, wenn sie zurückkehrt. Ist ihm also die Ehe egal und sieht er keine Zukunft in der Familie, dann erteilt man ihn nur eine Fatwa, die auf der Mehrheitsmeinung basiert. Es liegt kein Nutzen darin, seine Scheidungsaussprüche zurückzuweisen. Wenn ein Mittel (wasīla) nicht zweckdienlich ist, ist dessen Verwendung unzulässig.

Ein Ausnahmefall hingegen liegt vor, wenn der Satan zwischen ihm und seiner Ehefrau Zwietracht stiftete, sie sich beide aber noch lieben, ein Zusammenleben funktionieren kann, das Gemeinwohl bzw. ihre Interessen (maṣlaḥa) verletzt werden und ihren Kindern Unheil zuwider kommt, wenn die Familie gespalten wird. Dann beurteilt man den Sachverhalt nach der Meinung der zweiten Gruppe. Diese (Meinung) stellt hier eine Erleichterung (rukhṣa) dar.

[1] Siehe auch Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2178; Sunan Ibn Mājah, Kapitel 18, Hadithnr. 2018.

[2] Siehe auch das Video „Sh. Muhammad ad-Dadaw – Scheidung während der Periode“.

[3] Sahih Muslim, Kapitel 18, Hadithnr. 1471; Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2181; Jāmiʿ al-Tirmiḏī, Kapitel 13, Hadithnr. 1176; Sunan al-Nasāʾī, Kapitel 27, Hadithnr. 3397; Sunan Ibn Mājah, Kapitel 10, Hadithnr. 2023.

[4] Bekannte Regel in der islamischen Jurisprudenz (fiqh). Beispiele:

– Ein Mann nimmt zum Zeitpunkt der Niederwerfung am Gebet teil. In der Scharia ist diese Handlung nicht vorgesehen und deswegen wird sie so behandelt, als existiere sie nicht (= die Handlung ist ungültig, er hat die Gebetseinheit verpasst und muss diese nachholen).

– Der Vater eines unehelichen Kindes verstirbt. Da illegaler Geschlechtsverkehr (zinā) ḥarām ist, wird das Kind so behandelt, als existiere es nicht (= es darf nichts erben).

[5] Lässt sich somit der Mann von seiner Frau scheiden, jedoch nicht auf ihre Wartezeit hin, handelt er entgegen der Anordnung Allahs. Wer Schwierigkeiten hat, dieses Argument zu verstehen, kann sich nach „ihnen“ das Adverb „nur“ dazu denken. Es wird zwar explizit nicht erwähnt, ergibt sich aber aus dem Imperativ.

[6] Sahih Muslim, Kapitel 30, Hadithnr. 1718; 5. Nawawī-Hadith.

[7] Sunan Abī Dāwūd, Kapitel 13, Hadithnr. 2182; Sunan al-Nasāʾī, Kapitel 27, Hadithnr. 3389 f.

[8] Sahih al-Buchārī, Kapitel 68, Hadithnr. 5251; Sahih Muslim, Kapitel 18, Hadithnr. 1471.

[9] Dies überlieferte Ibn ʿAbdil-Barr.

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